Seite drucken     Schriftgröße A-  A  A+

Seele - Prinzip der Identität

Quellangabe: Jenseits des Todes, in: IKaZ 1 (1972) 231–244, hier: 238–240.


Man kann nicht bestreiten, dass dieser Begriff nur zögernd Eingang in die christliche Tradition gefunden hat, wenn auch der Übergang des biblischen Glaubens in den Raum des griechischen Denkens viel früher vorbereitet und zum Teil vollzogen war, als die schroffen Antithesen vermuten lassen […].

So ist die Eschatologie sehr lang in einem weitgehend „jüdischen“ Zustand verblieben, aber gerade das bezeugt auch die Kontinuität der Alten Kirche mit der judenchristlichen Gemeinschaft des Anfangs. Der neue Akzent liegt darin, dass Jesus Christus als der jetzt schon Erstandene verkündigt wird. Der eigentliche Beziehungspunkt der Unsterblichkeit ist weniger eine kommende Zeit als der jetzt lebende Herr. Paulus hat von da aus die spätjüdische Lehre von den Zwischenorten radikal christologisiert und personalisiert zu der Formel hin „aufgelöst werden und mit Christus sein“ (Phil 1,23). […]

Damit war vom auferstandenen Herrn her das Bewusstsein eines Lebens gegeben, das schon im Tod des Leibes und vor der endgültigen Erfüllung der Zukunft der Welt den Menschen geschenkt wird. So wurde sichtbar, dass es eine Kontinuität des Menschen gibt, die über die Identität seiner körperlichen Existenz hinausreicht, so sehr er im Leib er selbst ist, ein einziges, unteilbares Geschöpf. Wie sollte man diesen Kontinuitäts- und Identitätsfaktor denken, der schon im irdischen Leben über die Summe der materiellen Teile des Menschen hinausreicht (sie wechseln ja schon im irdischen Leben!) und der seiner Eigenbedeutung erst recht in der Möglichkeit einer dem Tod übergreifenden Existenz zum Vorschein tritt? Vom Griechischen her bot sich der Begriff „Seele“ an, der übrigens schon im Neuen Testament da und dort die Bedeutung dieses über die Körperlichkeit hinausreichenden Identitätsfaktors gewinnt. Freilich war dieser Ausdruck durch ein dualistisches Weltbild belastet, gefährlich also und nicht ohne Reinigung zu gebrauchen. Aber das galt im Grund von allen „Begriffen“, auch von dem Wort Gottes: Der griechische „Gott“ war keineswegs das gleiche wie der biblische Jahwe, der Vater Jesu Christi, so dass durch die gemeinsame Benennung mit „Gott“ eine nicht minder ernst zu veranschlagende Gefährdung entstand. […] Insofern sagt die dualistische Herkunft des Begriffs „Seele“ etwas über seine Gefährdung, aber nichts über seine prinzipielle Unbrauchbarkeit aus.





zurück