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Kirchenmusik als Synthese von Geist, Intuition und sinnenhaftem Klang

Quellangabe: Das Welt und Menschenbild der Liturgie und sein Ausdruck in der Kirchenmusik, in: JRGS 11, 527–547, hier 542 f.


Es gibt Agitationsmusik, die den Menschen für verschiedene kollektive Zwecksetzungen animiert. Es gibt sinnliche Musik, die den Menschen ins Erotische einfährt oder auf andere Weise wesentlich auf sinnliche Lustgefühle ausgeht. Es gibt bloße Unterhaltungsmusik, die nichts aussagen, sondern eigentlich nur die Last der Stille aufbrechen will. Es gibt rationalistische Musik, in der die Töne nur rationalen Konstruktionen dienen, aber keine wirkliche Durchdringung von Geist und Sinnen erfolgt. Manche dürre Katechismuslieder, manche in Kommissionen konstruierte moderne Gesänge müsste man wohl hier einreihen.

Die Musik, die dem Gottesdienst des Menschgewordenen und am Kreuz Erhöhten entspricht, lebt aus einer anderen, größeren und weiter gespannten Synthese von Geist, Intuition und sinnenhaftem Klang. Man kann sagen, dass die abendländische Musik vom Gregorianischen Choral über die Musik der Kathedralen und die große Polyphonie, über die Musik der Renaissance und des Barock bis hin zu Bruckner und darüber hinaus aus dem inneren Reichtum dieser Synthese kommt und sie in einer Fülle von Möglichkeiten entfaltet hat. Es gibt dieses Große nur hier, weil es allein aus dem anthropologischen Grund wachsen konnte, der Geistiges und Profanes in einer letzten menschlichen Einheit verband. Sie löst sich auf in dem Maß, in dem diese Anthropologie entschwindet. Die Größe dieser Musik ist für mich die unmittelbarste und evidenteste Verifikation des christlichen Menschenbildes und des christlichen Erlösungsglaubens, die uns die Geschichte anbietet. Wer wirklich von ihr getroffen wird, weiß irgendwie vom Innersten her, dass der Glaube wahr ist, auch wenn er noch viele Schritte braucht, um diese Einsicht mit Verstand und Willen nachzuvollziehen.





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