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Monophysitismus

Quellangabe: Jesus Christus, Mitte des Glaubens und Grund unserer Hoffnung, in: Ein neues Lied für den Herrn, Freiburg 1995, 15–45, hier 19–23.


Unter Monophysitismus versteht man eine Verengung des Christusbildes, die im fünften Jahrhundert in Ägypten ihre theoretische Form gefunden, aber das christliche Bewusstsein weit über diese Theorie hinaus immer wieder bedroht hat: Dem Erlöser wird eine eigene menschliche Natur abgesprochen. Die menschliche Natur sei eingeschmolzen in die göttliche und mit ihr zu einer einzigen Einheit geworden. Das Menschliche in Christus zu verkürzen und in ihm nur das Göttliche zu sehen, ist eine Gefahr, die gerade den frommen Menschen anfechten kann. In dem religiösen Aufbruch zwischen den beiden Weltkriegen war eine neue Sensibilität für den Menschen Jesus entstanden; man merkte, wie blass das Bild seines Menschentums geworden war und wie großartig und nahe es aus den Evangelien zu uns spricht, wenn wir ihnen nur aufmerksam zuhören. […] Etwa zur gleichen Zeit war J. A. Jungmann bei seiner Erforschung der Liturgiegeschichte zu dem Ergebnis gekommen, dass die Überwindung des Arianismus, einer theologischen Strömung, die die Gottheit Christi geleugnet hatte, zu einer einseitigen Betonung der Göttlichkeit Jesu geführt und eine Art von monophysitischem Schub im christlichen Gebet bewirkt habe, dessen Spur er in der Analyse der Volksfrömmigkeit seiner Zeit unerbittlich bloßzulegen versuchte. […] 

Meiner eigenen Erfahrung nach war sie [die monophysitische Gefahr] schon in den dreißiger Jahren viel geringer, als den großen Theologen damals im Eifer ihre Neuentdeckung schien […]. Sicher ist, dass es sie heute als große Strömung der Christenheit nicht gibt. Unsere Gefahr ist genau umgekehrt – die einer einseitigen Trennungschristologie (Nestorianismus), in der über dem Bedenken der Menschheit Christi seine Gottheit weitgehend verschwindet, die Einheit der Person aufgelöst wird und Rekonstruktionen des bloßen Menschen Jesus dominieren, die mehr die Ideen unserer Zeit als die wahre Gestalt unseres Herrn spiegeln.





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