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Erbsünde

Quellangabe: Im Anfang schuf Gott. Vier Predigten über Schöpfung und Fall, München 1986, 55–57.


Nichts erscheint uns heute fremder, ja absurder, als Erbsünde zu behaupten, weil Schuld nach unserer Auffassung ja immer nur das Persönlichste sein kann; weil Gott nicht ein Konzentrationslager beherrscht, in dem es Sippenhaft gibt, sondern der freie Gott der Liebe ist, der jeden bei seinem Namen ruft. Was also bedeutet „Erbsünde“, wenn wir sie richtig auslegen?

Um hier Antwort zu finden, ist nichts Geringeres nötig, als den Menschen wieder besser verstehen zu lernen. Wir müssen uns wieder klarmachen, dass kein Mensch in sich selbst geschlossen ist, dass keiner von sich allein und für sich allein leben kann. Wir empfangen unser Leben nicht nur im Augenblick der Geburt, sondern jeden Tag von außen her, vom anderen, von dem, was nicht mein Ich ist, und doch ihm zugehört. Der Mensch hat sein Selbst nicht nur in sich, sondern auch außer sich: Er lebt in denen, die er liebt; in denen, von denen er lebt und für die er da ist. Der Mensch ist Beziehung und er hat sein Leben, sich selbst, nur in der Weise der Beziehung. Ich allein bin gar nicht ich, sondern nur im Du und am Du bin ich Ich-selbst. Wahrhaft Mensch sein heißt: in der Beziehung der Liebe, des Von und des Für stehen. Sünde aber bedeutet: die Beziehung stören oder zerstören. Sünde ist Leugnung der Beziehung, weil sie den Menschen zum Gott machen will. Sünde ist Beziehungsverlust, Beziehungsstörung und deswegen ist sie wieder nicht allein eingeschlossen ins einzelne Ich. Wenn ich die Beziehung zerstöre, dann trifft dieser Vorgang – die Sünde – auch die anderen Beziehungsträger, das Ganze. Deswegen ist Sünde immer Versündigung, die auch den anderen trifft, die die Welt verändert und sie stört. Weil es so ist, gilt: Wenn das Beziehungsgefüge des Menschseins vom Anfang her gestört wird, tritt jeder Mensch fortan in eine von der Beziehungsstörung geprägte Welt ein. Mit dem Menschsein selbst, das gut ist, fällt ihn zugleich eine von der Sünde gestörte Welt an. Jeder von uns tritt in eine Verflechtung ein, in der die Beziehungen verfälscht sind. Jeder ist deshalb schon von seinem Anfang her in seinen Beziehungen gestört, empfängt sie nicht, wie sie sein sollten. Die Sünde greift nach ihm und er vollzieht sie mit. Damit wird nun aber auch klar, dass der Mensch sich nicht allein erlösen kann. Das Verfehlte seines Daseins besteht ja gerade darin, dass er sich allein will. Erlöst, d. h. frei und wahr werden, können wir nur, wenn wir aufhören, ein Gott sein zu wollen; wenn wir auf den Wahn der Autonomie und der Autarkie verzichten. Wir können immer nur erlöst werden, d. h. wir werden wir selbst, wenn wir die rechten Beziehungen empfangen und annehmen. Unsere zwischenmenschlichen Beziehungen aber hängen daran, dass das Maß der Geschöpflichkeit allenthalben im Lot ist, und gerade da sitzt die Störung. Weil die Schöpfungsbeziehung gestört ist, darum kann nur der Schöpfer selbst unser Erlöser sein. Erlöst werden können wir nur, wenn der, von dem wir uns abgeschnitten haben, neu auf uns zugeht und uns die Hand reicht.





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