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Christentum – historisch wirkungslos?

Quellangabe: Öffnet die Türen für Christus und fürchtet euch nicht. Silvesterpredigt 1978, 8–10.


Ein Lieblingseinwand gegen das Christentum lautet: Es hat in zweitausend Jahren die Welt nicht verändern können. Also ist auch nichts mehr von ihm zu erwarten. Es hat sozusagen Zeit genug gehabt, es mit seinen Möglichkeiten zu versuchen; so wird es höchste Zeit, zu anderen Mitteln zu greifen. Nun ist das zunächst schon rein geschichtlich gesehen mehr als oberflächlich gesagt. Immerhin stammt von Heinrich Böll der Ausspruch, auch noch die schlechteste christliche Welt sei ihm lieber als jede nichtchristliche: Ohne das Christentum gäbe es keine Obsorge für die Behinderten, die Ausgestoßenen, die unheilbar Leidenden. […] Wie das Leben erniedrigt wird, wo das Sterben keine Würde hat, so wird das Leben entwertet, wo das Leiden nicht angenommen ist.

Heute, wo wir die Wiederkehr einer Welt ohne Christus sich ankündigen sehen, kann uns bei solchen Behauptungen, die Welt sei von Christus nicht verändert, schon ein Frösteln ankommen. […]

Der christliche Glaube hat die Welt verändert. Er hat sie freilich nicht zu einem Paradies gemacht, in dem uns die Last des Menschseins im Voraus schon abgenommen wäre. Das war allerdings die trügerische Versprechung des Fortschritts, von der wir im Grund alle geblendet sind und an der wir das Christentum gemessen haben. Wir hatten uns vorgestellt, eine erlöste Welt müsse so eingerichtet sein, dass Menschsein nicht mehr weh tut. Dass überhaupt nichts mehr weh tun kann. Und weil Christus die Welt nicht in dieser Art erlöst, sondern uns ganz im Gegenteil das Kreuz aufgelegt hat, deswegen hatten wir uns vorgenommen, es nun selbst besser zu machen; wir glaubten, mit Wissenschaft und Technik die Mittel zu haben, um das einrichten zu können. […]

Eine Erlösung, die uns das Menschsein ersparen und im Voraus durch die Strukturen leisten will, die nimmt uns eben das Menschsein ab und hebt damit die Menschlichkeit auf. Sie ist ihrem Wesen nach Zerstörung der Menschlichkeit, des Menschen. Eine Planung, die sich zum Gott erhebt, ist Versklavung.

Damit kommen wir zu den angeblich fruchtlosen 2000 Jahren zurück: Man kann die Jahre der Menschen nicht aneinander zählen wie die Zahlen einer Bilanz. Das Menschsein beginnt immer neu. Deswegen kann man den Fortschritt nicht addieren: Wer es tun will, muss den Menschen vorher zur Zahl degradieren, ihm sein Einmaliges, seine Seele nehmen. Das Menschsein beginnt immer neu, in jedem Menschen. Deshalb kann man nicht das Glück in der Menschheit ein für allemal festschreiben und dann vermehren wie einen Aktienindex.





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