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Abschied. Gedanken von Prof. Rolf Schönberger zum Heimgang von Papst em. Benedikt XVI.

Dem Institut steht seit Beginn an ein wissenschaftliches Kuratorium beratend zur Seite. Die ersten Reaktionen auf den Heimgang Benedikts XVI. sind im Folgenden aufgeführt.


Am frühen Abend des 19. April 2005 saßen meine Frau und ich vor dem Fernseher in spannungsvoller Erwartung, wer zum neuen Papst gewählt worden ist. Meine Frau war völlig überzeugt, es werde Joseph Ratzinger, und ich habe ihr auseinandergesetzt, dies sei nicht nur ganz unwahrscheinlich, sondern völlig ausgeschlossen. Wie groß war dann die Freude!

Wir haben aus großem Abstand, aber auch mit großer Bewunderung einige Male ihn gehört und erlebt: Zum ersten Mal in einer Predigt an einem verregneten Fronleichnamstag im Münchner Liebfrauendom (14. Juni 1979; inzwischen nachzulesen in JRGS XIV/2, 1091–196). Ein zweites Mal hatten wir das Glück, diesen begnadeten Prediger in einer Festpredigt in St. Emmeram am 6. Okt. 2002 (JRGS XIV/3, 1820–1827) zu hören. Wenn er aus familiären Gründen als Kardinal jeweils am 2. November den Allerseelengottesdienst in St. Josef Ziegetsdorf gehalten hat, hat meine Frau immer daran teilgenommen.

Mir wurde mehrfach eine große Ehre zuteil. Zum ersten Mal, als ich im September 2007 vor dem Schülerkreis in Castel Gandolfo und natürlich auch vor Papst Benedikt XVI. eine Erörterung und Rechtfertigung des Schöpferbegriffs in Orientierung an Thomas von Aquin zu halten eingeladen war. Im Professorenleben ist es nicht ohne weiteres möglich, sich exklusiv mit einem einzigen Vortrag über mehrere Wochen zu beschäftigen. Hier war ich es dem Anlaß schuldig und es war eine große Wohltat. 

Im Jahr 2011 bin ich in das Kuratorium des Institutes Papst Benedikt XVI. berufen worden. Dies geschah vielleicht in erster Linie, um dort einen Vertreter der Universität in diesem Gremium zu haben. Aber diese Aufgabe kam meinem Interesse an Werkausgaben ausgesprochen entgegen, hat mir jedoch vor allem die Gelegenheit gegeben, mich mit der Welt eines der bedeutendsten Theologen meiner Zeit eingehender zu beschäftigen. 

Das war besonders dann der Fall, als ich nicht nur für den 3. Band der JRSG einen Vorschlag zur Gliederung der zunächst heterogen wirkenden Texte zu machen, sondern auch eine Einleitung zu schreiben hatte. Nicht wenige dieser Texte sind in Form und Gattung sichtlich den sonstigen Verpflichtungen des Autors abgerungen, aber die Tiefe und Weite der Gedanken wird dadurch nur umso staunenswerter, mit denen er einen neuen Blick, ein neues Licht auf aktuelle oder verborgene oder verkannte Problemlagen der Kultur, des Rechtes und der Politik wirft. Wahrlich nicht weniger beeindruckend war für mich sein Umgang mit dem, was er ablehnt oder gar als gefährlich ansieht: Fast immer geht seinem Versuch der Problembewältigung eine höchst intensive und sehr ausführliche Erläuterung der geistesgeschichtlichen Hintergründe, der leitenden Motive und der inneren Logik vorher. 

Eine besonders ehrenvolle Aufgabe ist mir aber daraus erwachsen, dass 2013 ein Text wieder aufgefunden wurde, den der junge Student der Theologie 1947 neben den regulären Verpflichtungen des Studiums erarbeitet hatte. Selber alles andere als ein glühender Verehrer der Denkweise des hl. Thomas hat er einen Text aus der späten Zeit dieses großen Kirchenlehrers ins Deutsche übersetzt: ›Untersuchungen über die Liebe‹ (Quaestiones disputatae de caritate). Ich konnte die sprachliche Meisterschaft und Gewandtheit des Übersetzers nur bewundern. Er hat anders als Edith Stein, die zwei Jahrzehnte vorher erstmals die ›Untersuchungen über die Wahrheit‹ ins Deutsche übertragen hatte, den Text vollständig übersetzt. Mit den üblichen Ausstattungen – Nachwort, Bibliographie und mit Anmerkungen versehen – ist der Text 2017 erschienen. Die Fragen des Umgangs mit dem Text, die ich an den emeritierten Papst gestellt habe, hat er im Einzelnen gar nicht beantwortet, sondern mir ebenso vertrauensvoll wie großzügig völlig freie Hand gelassen.

Dieser mittelalterliche Text untersucht die Liebe in erster Linie als eine sog. "theologische", gottgeschenkte Tugend. Die Liebe ist ein missbrauchtes Wort, das damit Gemeinte gleichwohl das Überwältigendste des menschlichen Lebens. Dass dem Christentum so viel Verachtung entgegenschlägt, hat wohl unter anderem auch damit zu tun, dass es die Liebe nicht nur zu ungenügend erklärt, manchmal vereinseitigt hat, sondern auch noch ungenügend praktiziert oder gar verraten hat. Dass die Liebe das Zentrum des Christentums ist, hat Thomas von Aquin nicht gesagt, aber Benedikt XVI. hat es gesagt. Aber was ist damit gesagt? Die erste Enzyklika des Papstes, 'Deus caritas est' (2006), hat genau das zum Thema gemacht. Die sollte der Auftakt einer Trilogie werden, die er während seines Pontifikates leider nicht mehr vollenden konnte. 

In der zünftigen Theologie des 20. Jahrhunderts habe ich vergeblich nach einem Text gesucht, der inhaltlich vielleicht anders ausgerichtet, aber gedanklich von ähnlicher Weite und begrifflich von vergleichbarer Klarheit ist. Liebe wird nicht definiert als Wohlwollen – wem gegenüber auch immer – sondern bekommt ein eindeutiges Paradigma: die Liebe von Mann und Frau. Eine inhaltliche Würdigung steht mir gar nicht zu, aber die überragenden intellektuellen Qualitäten, die seine Texte als Theologe kennzeichnen, treten auch hier unverkennbar zutage. Es scheint ebenso typisch zu sein, dass er geläufig gewordene Entgegensetzungen – Eros und Agape – als Abstraktionen relativiert und demgegenüber das vermeintlich Entgegengesetzte als Einheit versteht, deren Momente sich  in Wahrheit wechselseitig voraussetzen. 

Im ersten Teil der Enzyklika argumentiert er, wie er selbst sagt, philosophisch. Die Maßstäbe der Vernunft hat Ratzinger/Benedikt XVI. immer hoch gehalten, hat aber immer wieder vor einem platten Rationalismus ebenso wie vor dem dialogfeindlichen Reduktionismus der Vernunft gewarnt. So auch in seiner Vorlesung an der Universität Regensburg im Jahr 2006, die das Auditorium mit stehenden Ovationen quittiert hat.

 

Wenn das Leben nach einer bekannten Definition die Gesamtheit der Kräfte ist, die dem Tod wiederstehen, so scheint doch der Tod diese Kräfte unerbittlich und endgültig zum Erliegen zu bringen. Damit auch die Kraft der Liebe. Aber gilt das auch für das Geliebtwerden? Der Prediger Ratzinger zitiert einmal das Rätselwort des französischen Existenzphilosophen und Dramatikers Gabriel Marcel: "Ich liebe dich sagen, heißt sagen: Du sollst nicht sterben" (JRSG XIV/1, 379). Am einleuchtendsten kann man dies von der Liebe sagen, die dem Menschen das Sein verleiht und deswegen auch das Heil zu schenken verheißt. Dann gilt der Satz aus dem Hohelied – "Stark wie der Tod ist die Liebe" (Hld 8,6) – in einem buchstäblichen und gar nicht in einem schwärmerisch-überschwänglichen Sinn. Auf der Basis seines kirchlichen Glaubens an die Auferstehung kann Joseph Ratzinger den Gehalt des alttestamentlichen Wortes sogar noch steigern (JRGS XIV/2, 1111), wenn er sagt, dass ‟die Liebe stärker ist als der Tod."  

 

In Paradisum deducant te angeli.