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Presseschau - Detail

„Gerade bei Jugendlichen große Resonanz“

DT vom 09.08.2008, Nr. 96, S. 6 von Regina Einig

 

Ein Gespräch mit dem Herausgeber des Gesamtwerks von Joseph Ratzinger, dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller

 

Anfang September öffnet das Papst-Benedikt-Institut in Regensburg seine Pforten. Regina Einig sprach über das Projekt mit Bischof Gerhard Ludwig Müller.

Über die Schriften Joseph Ratzingers liegen mittlerweile eine Fülle von Publikationen vor. Wo sehen Sie vielversprechende Ansätze, um aus wissenschaftlicher Sicht noch Neues über sein Werk zu sagen? 

Das wissenschaftliche Werk des Heiligen Vaters ist so umfangreich und führt uns in die verschiedensten Themengebiete der Theologie ein, sodass es immer wieder neue Aspekte für uns bereithält. So ist es nie abschließend ausgeschöpft. Es ist auch in eine geschichtliche Entwicklung eingebettet: von den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. In diesem Zeitraum ist viel in der  Theologie, in der Kirche und in der Welt geschehen. All das hat Joseph Ratzinger mit wachem Geist und großer  theologischer Kompetenz begleitet. Seine Ergebnisse sind für uns alle ein Denkanstoß. Er schöpft aus den  Erfahrungen, von denen auch seine gegenwärtige Verkündigung als Papst mitgetragen und gespeist wird. Seine  Worte zur lebendigen Kraft des Evangeliums stoßen gerade bei Jugendlichen auf große Resonanz. Es ist die Ernsthaftigkeit in seinen Worten. Die jungen Menschen merken, dass er sie direkt anspricht und die Selbstständigkeit ihres Denkens und Glaubens bewahrt.

An welche Zielgruppe richten sich die Gesammelten Schriften?

An alle, die professionell in der Theologie tätig sind, aber auch alle Gläubigen, die sich für theologische und kirchliche Fragen interessieren. Der Heilige Vater hat immer einen Stil gepflegt, der es ermöglicht, seine Schriften auch ohne theologisches Studium zu erfassen, einige speziell wissenschaftliche Texte ausgenommen. Seine besondere Kunst besteht darin, komplizierte Sachverhalte in einer eleganten Sprache und in seinem Denken auf ihren inneren Sinngehalt zurückzuführen. Daher fühlen sich viele davon angesprochen und bereichert, auch wenn sie nicht zur Zunft der Theologen gehören. 

Welche Publikation des Papstes interessiert Sie persönlich am meisten?

Als Theologe interessiert mich natürlich alles. Herausragend ist die „Einführung in das Christentum“. In den Auseinandersetzung der Achtundsechziger hat Joseph Ratzinger damit eine Art Manifest formuliert und die Liebe als innerstes Wesen des Christentums herausgestellt. Die „Einführung“ war für mich ein prägender Text auf meinem eigenen wissenschaftlichen und priesterlichen Weg. Schon damals hat er den Leser mitgenommen auf die Suche nach den Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit: etwa jenen der rationalen Verantwortbarkeit des Glaubens in einer Welt, die einen metaphysischen und transzendenten Ansatz im Denken leugnet. Aber auch die gesellschaftlichen Entwicklungen erwarten von der Theologie Antworten, etwa im Bereich der Bildung, der Werte und der Erziehung. Was Joseph Ratzinger damals begonnen hat, ist bis heute aktuell geblieben: Jürgen Habermas beispielsweise hat eine Aufsatzsammlung herausgegeben „Zwischen Naturalismus und Religion“ und pendelt darin etwas hin und her, obwohl er ein Anhänger des Naturalismus ist, letztlich aber doch die uneingelösten Fragen mit Hilfe der Religion neu formulieren will. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass Joseph Ratzinger schon am Beginn seines wissenschaftlichen Schaffens dieses fundamentale Problem erkannt hat. Der Papst geht natürlich wesentlich weiter indem er festhält, dass der christliche Glaube auf einem festen Fundament beruht, das auch die Herausforderungen der Gegenwart nicht erschüttert haben. Zugleich ist der Glaube geprägt von einer weiterführenden Dynamik, die uns die Fragen der Gegenwart und Zukunft immer neu beantwortet. 

Was bedeutet die Gesamtausgabe für die internationale Verbreitung des Werkes von Joseph Ratzinger? 

Das ganze  Werk Joseph Ratzingers ist in deutscher Sprache geschrieben worden, deswegen ist die deutsche Gesamtausgabe in ihren sechzehn Bänden die Basis für eine internationale Verbreitung. Es gibt schon Anfragen für Übersetzungen in andere Sprachen und teilweise sind auch die Verträge dafür schon abgeschlossen worden. Italienische und spanische Ausgaben werden in kurzer Zeit der deutschen „Urfassung“ folgen. Und obwohl von einzelnen Beiträgen, die im ersten Band enthalten sind, Übersetzungen vorliegen, werden natürlich die Bände neu übersetzt. Das ist angesichts einer sich verändernden Sprache notwendig. Orientierung dabei ist die „editio princeps“ in deutscher Sprache. 

Auf welche Weise begleitet der Heilige Vater das Projekt?

Dem Heiligen Vater ist der Gesamteditionsplan der sechzehn Bände vorgelegt und von ihm bestätigt worden. Er hat bei allen anstehenden Fragen das letzte Wort. Ein großer Vorteil für das Projekt ist natürlich, dass auch jeder Einzelband mit dem Heiligen Vater besprochen wird. Denn im Mittelpunkt steht nicht die bloße Sammlung und Archivierung der Texte, sondern die systematische Erschließung eines Themenbereichs der Theologie mittels einer neu konzipierten Anordnung, die Zusammenhänge freilegt und eine Gesamtschau ermöglicht. So entsteht mit den Gesammelten Schriften ein lebendiges Zeugnis der Theologie Joseph Ratzingers/Papst Benedikts XVI. –  wirklich aus seiner Hand.

Welches Rahmenprogramm schwebt Ihnen vor?

Das von mir errichtete Institut-Papst-Benedikt, das die editorischen Aufgaben übernimmt, soll vor allem auch ein Studienzentrum sein. Jeder, der wissenschaftlich über den Papst arbeiten will, soll hier die gedruckten und ungedruckten Werke sowie seinen biographischen und theologischen Kontext finden. Dazu gehört der Aufbau einer Spezialbibliothek und die Digitalisierung seines Gesamtwerkes. Internationale Symposien werden sich mit dem Denken des Papstes beschäftigen und ihre Ergebnisse in die öffentliche Diskussion einbringen. Die Gesamtausgabe soll nicht nur zwischen Buchdeckeln gesammelt werden, sondern auch ihre Lebendigkeit in der Diskussion und in der wissenschaftlichen Bearbeitung zeigen. 

 

DT 09. August 2008 (PDF, 75 kB)